Hintergrund
Das Zimmer war karg eingerichtet. Ein Bett, ein Tisch, ein Schrank. Linoleumboden. Wie Klinikzimmer eben so sind. Ich wuchtete meinen Koffer auf’s Bett und öffnete ihn. Ob es sich wohl lohnt, die Wäsche in den Schrank zu räumen? Schließlich würde ich in der Entgiftungsabteilung nicht lange bleiben müssen, ich hatte schon seit Monaten keinen Joint mehr angerührt. Dieses hier war nur eine Zwischenstation auf dem Weg zum eigentlichen Ziel: der Therapie.
Aus dem Fenster sah ich nach draußen. Ein schöner Garten umgab das Haus, mit hohen Bäumen, durch deren Kronen die Sonne blinzelte. Ein hübscher Ausblick eigentlich. Was aber hatte ich hier verloren? Wie zum Teufel war ich hier bloß hingeraten? In eine Suchtklinik. Waren Drogensüchtige nicht immer “die anderen”? Diejenigen mit schwieriger Kindheit? Mit Gewalt in der Familie, Schwierigkeiten in der Schule? Die in Schlägereien geraten oder auf die schiefe Bahn? Ich dagegen war doch ein Wohlstandskind. Behütet aufgewachsen, mit Freunden, hatte Abitur gemacht und studiert, hatte eine Perspektive.
Und trotzdem hatte mir etwas gefehlt im Leben. Was, das war mir in diesem Moment vor dem Fenster noch nicht ganz klar. Oder ich wollte es mir nur nicht eingestehen. Mir wurde nur klar in diesem Augenblick vor dem Fenster der Entgiftungsstation: den Frust darüber hatte ich bislang mit Marihuana betäubt. Und ich begab mich auf den langen Weg hin zu dem, was ich wirklich wollte.
Dieser Zusammenhang zwischen so einem Sehnsuchtsgefühl, zwischen all den tiefen Ängsten oder verdrängten schmerzhaften Erfahrungen einerseits und dem Rauschmittelkonsum andererseits wird vielen niemals bewusst. Sie verstecken sich hinter der täglichen Dosis Alkohol ebenso wie vielleicht hinter Arbeit, flüchtigen Beziehungen oder zuviel Essen. Nur dass viele dabei süchtig werden nach diesem “Ersatz”. Und sich eines Tages überrascht fragen, warum sie am Fenster einer Suchtklinik stehen.
Auch Jugendlichen ist dieser Zusammenhang noch nicht klar. Sie erleben Rauschmittel als willkommene Abwechslung zum Alltag, als Türöffner zu neuen Erfahrungen und Bewusstseinsebenen. Was sie im “Normalfall” ja auch sind. Und bei einer starken, selbstbewussten Persönlichkeit ohne versteckte Ängste und Sehnsüchte wohl auch immer bleiben werden.
Aber wenn es nicht so ist, dann muss man rechtzeitig die Notbremse ziehen. Sich diesen Ängsten und Sehnsüchten, den verdrängten Schmerzen stellen, anstatt sich mit Drogen zu betäuben. Das wird ohnehin schon schwer genug. Doch zuallererst muss man diesen Zusammenhang erkennen, um frühzeitig die richtige Weichenstellung zu erwischen. Ich bin überzeugt: je früher man erkennt, worum es für einen wirklich geht im Leben, was man wirklich will, umso größer ist die Chance, dieses Ziel auch wirklich zu erreichen. Dass man ein glückliches, selbstbestimmtes Leben führt. Anstatt, von Drogen betäubt, am Leben vorbeizurutschen. Vielleicht jahrelang. Vielleicht für immer.
Jugendlichen dafür die Augen zu öffnen ist mein Ziel.